Millionen Nervenbahnen
Martin Nweeia, Experte für Biomaterialwissenschaften und restorative Zahnheilkunde an der Harvard School für Zahnmedizin (HSDM) untersuchte die Wale und ihre Zähne während vier Expeditionen in die Arktis. Er ist Leiter einer Narwalzahn-Studie, die seit dem Jahr 2000 Forscher mit erfahrenen Ältesten der Inuit zusammenbringt, um die jahrhundertealten Erfahrungen der Arktisbewohner mit modernen wissenschaftlichen Methoden und Herangehensweisen zu kombinieren.
Mit Erfolg: Er und seine Kollegen gelangten jetzt zu einem völlig neuen Schluss. Sie entdeckten, dass der Zahn des Wals offenbar als hydrodynamischer Sensor fungiert. Zehn Millionen winziger Nervenverbindungen verknüpfen den Zentralnerv des Zahns mit seiner Oberfläche und machen den Auswuchs zu einem empfindlichen Sensor. Obwohl scheinbar hart und massiv, arbeitet der Stoßzahn wie eine Membran mit einer sensiblen Oberfläche, die Veränderungen in Wassertemperatur, -druck und die Konzentration chemischer Substanzen registrieren kann.
“Warum könnte ein Stoßzahn die Regeln der normalen Entwicklung brechen, indem er Millionen von sensorischen Nervenbahnen anlegt, die sein Nervensystem mit der eiskalten arktischen Umwelt verbinden“, fragt Nweeia. „So ein Fund ist erstaunlich und hat alle von uns überrascht.”
Sensoren helfen beim Überleben in extremer Umwelt
Die Fähigkeit, mithilfe des Zahnes chemische Gradienten erspüren können, hilft den Narwalen einerseits, den Salzgehalt des Wassers zu messen und damit im Polarmeer besser überleben zu können. Andererseits erlaubt sie den Tieren auch, ihre Fische, die den Hauptanteil ihrer Nahrung ausmachen, anhand ihrer charakteristischen „chemischen Spur“ besser zu finden. Nweeia und seine Kollegen stellten zudem fest, dass der Zahn auch taktile Reize überträgt und daher beim typischen „Hornreiben“ der Männchen eine wichtige sensorische Funktion einnimmt.
Ein Zahn als Sinnesorgan – in dieser komplexen Form und Kombination hat es das noch nicht gegeben, so der Forscher. „Jetzt, wo wir die sensorischen Fähigkeiten des Stoßzahns kennen, können wir neue Experimente entwerfen um einige der einzigartigen und bisher unerklärlichen Verhaltensweisen dieser seltenen und scheuen Wale besser zu erforschen.“
(Harvard Medical School, 14.12.2005 - NPO)
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